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Mechterstädter Vorkommnisse:
 
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Die Mechterstädter Vorkommnisse am 23. März 1920

Vorliegendes Papier soll eine kurze Darstellung und Beurteilung der Situation jener Tage aus der Sicht der Korporationen des Coburger Convent sein. Sie soll Anwürfe von Seiten der Korporationsgegner gegen unseren Verband im Zusammenhang mit den Ereignissen des 25. März 1920 richtigstellen und entkräften.

Die politische Situation nach dem Ersten Weltkrieg

Nach Ende des Krieges trafen die studentischen Kriegsteilnehmer eine Heimat an, in der sich hauptsächlich zwei Gruppen in erbitterter Feindschaft gegenüberstanden: Auf der einen Seite die oft stark links-sozialistisch orientierten Arbeiter, auf der anderen das national orientierte Bürgertum und ein Großteil des Offizierskorps.

Die "November-Revolution" von 1918 hatte die Monarchie beseitigt. Dies führte zudem zur endgültigen Niederlage des Heeres. Im Gegensatz zu 1848 verlief diese Revolution ohne Beteiligung der Studentenschaft, die ja noch im Felde stand.

Die vom Volk demokratisch gewählte Regierung dämmte Anfang 1919 die Revolution ein, die Nationalversammlung verabschiedete im August des gleichen Jahres die Verfassung der "Weimarer Republik".

An den Universitäten ergab sich für die Studentenschaft eine Zwei-Generationen-Schichtung aus ehemaligen Kriegsteilnehmern mit der Lebensreife Erwachsener und von normaltypischen Studenten, die gerade von der Schule kamen.

Neben all den sich anbahnenden Demokratisierungsprozessen an den Hochschulen kam es aber in der jungen Republik selbst nicht zur Ruhe. Sie wurde vielmehr von Unruhen, Aufständen und Gewalttaten beherrscht. Auf der einen Seite existierten die Gruppen der sog. "Roten Armee", die aus Mitgliedern der KPD und dem Spartakusbund bestanden. Zum anderen hatten sich die Freikorps gebildet, in denen vor allem Offiziere und solche Menschen rekrutiert waren, die - nach der Rückkehr aus dem Krieg - keinen Halt fanden.

Studentische Zeitfreiwillige und "Technische Nothilfe"

Von Seiten der Regierung trat man Ende 1919 an die Studenten heran und bat sie, als Zeitfreiwillige in der Reichswehr Dienst zu tun. Man benötigte sie u.a. zur Abwehr der regierungsfeindlichen Aktionen der "Roten Armee" und wußte, "daß die Studenten einsatzbereit und national absolut zuverlässig waren" (K. H. Jarausch, Deutsche Studenten 1800-1970, S. 119).

Daneben wurde aus den Studenten der Technischen Hochschulen im Oktober 1919 die "Technische Nothilfe" (TN) gebildet (W. Zorn in: Darstellung und Quellen zur Geschichte der Einheitsbewegung im 19. und 20. Jahrhundert, Heidelberg 1965, S 256ff.)

Viele Studenten folgten dem drängenden Aufruf der Regierung zum Eintritt in die Reichswehr (Zeitfreiwillige) und in die TN, da die Regierung erklärt hatte, sie trage die Verantwortung für den Einsatz der Studenten. "Unter keinen Umständen darf der Eindruck entstehen, als habe sich das Studententum der Reichsregierung aufgedrängt", so ein Sprecher der Studentenschaft.

In einer Ansprache von Reichswehrminister Noske ist zu lesen: "Es ist tief bedauerlich, daß in den Studenten Träger einer reaktionären Bewegung vermutet werden. Sie sind Teil des Volksganzen, ... die mitarbeiten, damit unser Land bewahrt wird vor Terror und Anarchie. Dagegen appelliere ich jetzt an Sie (die Studenten), dem Land Ihre Kräfte zur Verfügung zu stellen" (Zorn, S. 243f.) Letztlich waren die Studenten "... Opfer der sozialen und politischen Dauerkrise von Weimar" (Jarausch, S. 117).

Seit dem 13.1.1920 galt fast im ganzen Reichsgebiet der Ausnahmezustand. Am 13. März brachte der Kapp-Putsch neue Unruhen. Demzufolge mußten die Regierung und die Nationalversammlung zunächst nach Dresden, dann nach Stuttgart fliehen. Dort übernahm das "Stuttgarter Studentenbataillon" deren Schutz.

Die Regierung forderte zum Generalstreik auf, der so erfolgreich war, daß bereits am 17. März 1920 der Kapp-Putsch zusammenbrach.

Aus diesem Streik ging jedoch eine links-sozialistische Revolutionswelle hervor. Die Regierung mußte Reichswehr und die studentischen Zeitfreiwilligen, die sie zu den Waffen riefen, zur Niederwerfung dieser Aufstände einsetzen. Vielerorts wurden bei diesen Einsätzen auch Studenten getötet (Berlin, Brünzow, Nürnberg, Leipzig). Zudem wurden durch Angehörige der "Roten Garden" Gefangene gelyncht und bestialisch ermordet, z.B. in München, Gotha, Halle u.a.m. (Jahrbuch 1993 des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung, S. 158f. und "Mitteilungsblatt für die Republik Gotha" vom 22.3.1920).

Dem "Aufruf an die akademische Jugend", den die Regierung im März 1920 erlassen hatte, folgten nun viele Studenten und traten als Zeitfreiwillige in Verbände der legalen Reichswehr ein. Es sei hier nochmals betont, daß es sich um Verbände handelte, die von der rechtmäßigen Regierung geschaffen waren und die nur im Rahmen der Reichswehr und unter deren Befehl eingesetzt wurden. Sie sind nicht zu verwechseln mit den Freikorps, die die Heeresleitung ins Leben gerufen hatte und zu denen auch nichtstudentische "Desperados" gehörten.

So kam es auch zur Bildung des "Studentenkorps Marburg" (Stukoma). Es wurde von der Kasseler Brigade der Reichswehr ausgerüstet und war auch dieser eingegliedert. Den Befehl über das Stukoma hatte der Fregattenkapitän a.D. und seinerzeitige Student der Geschichte Bogislav v. Selchow (Corps Hasso-Nassovia Marburg).

Das Bataillon bestand aus mehreren Kompanien. Jede dieser Kompanien wurde von Studenten bestimmter Verbände gebildet (KSCV, DB, VC, DL, christliche Verbindungen, "schwarze" Verbindungen, Nichtkorporierte). Etwa ein Drittel des Bataillons bestand aus Studenten, die keiner Korporation angehörten (Zorn, S. 257).

Der Einsatz des Stukoma in Thüringen

Am Abend des 20. März 1920 wurde das Stukoma per Bahn nach Thüringen in Marsch gesetzt. Dort war die Reichswehr durch die in der "Roten Armee" zusammengeschlossenen, revoltierenden Arbeiter stark in Bedrängnis geraten. Gotha war in deren Hand gefallen. Deshalb wurde die 11. Reichswehrbrigade - und mit ihr die Studenten aus Marburg - zur Hilfe ausgesandt.

Im Verlauf des Einsatzes wurden am 24. März 1920 in Thal, das zwischen Eisenach und Gotha liegt, durch eine Streife des Stukoma 15 Männer festgenommen. Den Befehl über die Abteilung hatte Oberleutnant Baldus (Corps Guestfalia). Der Streife gehörten Studenten der Corps und der DB an. Die Verhaftung und das Verhör fanden in Anwesenheit des Gendarmen und des Schultheißen statt.

Das Verhör zeigte, daß die 15 Festgenommenen als Rädelsführer bei den Ausschreitungen während der Unruhen bekannt waren. Sie wurden daher zu Recht beschuldigt und sollten nach Gotha gebracht werden, um dort vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden. Mit der Todesstrafe mußten sie rechnen.

Oberleutnant Baldus sorgte dafür, daß die Gefangenen mit warmer Kleidung und Lebensmitteln versorgt wurden. Danach wurden sie nach Settelstedt gebracht und dort bewacht. Es wurde ihnen ausdrücklich gesagt, daß die Bewacher von der Schußwaffe Gebrauch machen würden, sollten die Gefangenen einen Fluchtversuch unternehmen.

Am folgenden Tag, dem 25. März 1920, wurde die 11. Brigade in Richtung Gotha in Marsch gesetzt. Vor dem Abmarsch wurden die Festgenommenen aus Thal erneut darauf hingewiesen, daß ein Fluchtversuch mit Waffenanwendung geahndet werde.

Zur Bewachung wurden Studenten bestimmt, die dem KSCV und der DB angehörten. Den Befehl hatte Heinrich Goebel (Burschenschaft Germania). Studenten des VC und der DL waren in der Wachabteilung nicht vertreten.

Kurz nach dem Abmarsch zog dichter Nebel auf. Die Abteilung mit den 15 Gefangenen - zu denen später noch weitere hinzu kamen - bildete den Schluß des Zuges.

Die Ereignisse, die sich kurz vor und hinter der Ortschaft Mechterstädt abspielten, gehen aus den Akten des Kriegsgerichts der 22. Division in Marburg hervor. Danach ergriffen die Gefangenen zuerst einzeln, später auch in einer größeren Gruppe, die Flucht. Die Bewacher versuchten zunächst, die Fliehenden einzuholen. Diese jedoch - durch Gepäck nicht behindert - konnten nicht eingeholt werden. Pflichtgemäß machten deshalb die Bewacher von der Schußwaffe Gebrauch. Dabei wurden alle 15 Gefangenen tödlich getroffen. Tatzeugen waren nur die Mitglieder des Begleitkommandos.

Gegen 14 Studenten wurde ein Kriegsgerichtsverfahren eingeleitet, vom 15. bis 19. Juni 1920 dauerte die Verhandlung. Angeklagt waren neun Corpsstudenten und fünf Burschenschafter (Zorn, ebd., S. 258f.). Angehörige des VC und der DL waren auch hier nicht dabei.

Auf Grund der übereinstimmenden Aussagen der Tatzeugen sowie auf Grund der Ergebnisse der Sachverständigen wurden alle 14 Angeklagten freigesprochen.

Ein Berufungsverfahren, das vom 13. bis 17. Dezember 1920 vor dem Schwurgericht Kassel stattfand, führte zum gleichen Ergebnis - und dies, obwohl der Staatsanwalt von seiner vorgesetzten Behörde die "strenge Weisung hatte, möglichst schwere Strafen zu beantragen" (v. Selchow).

In der Zeit der Not und der Bedrängnis war es insbesondere der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Haenisch, der die Studenten dazu aufrief, der Reichswehr als Zeitfreiwillige beizutreten. Nun, nach den Ereignissen von Mechterstädt, trat er mit Äußerungen an die Öffentlichkeit, durch die sich die Studentenschaft tief beleidigt fühlte. Er bezeichnete diese Vorfälle als einen "feigen Meuchelmord der Marburger Buben" (Bleuel/Klinnert, Deutsche Studenten auf dem Weg ins Dritte Reich, S. 75). Daraufhin wurde auf Antrag eines Nichtkorporierten und eines jüdischen Studenten in Marburg eine allgemeine Studentenversammlung einberufen, bei der folgende Erklärung verfaßt wurde:

"Der Allgemeine Studentenausschuß hat einstimmig, ohne Rücksicht auf politische Parteizugehörigkeit, beschlossen, Einspruch gegen die Handlungsweise des Ministers zu erheben. Um dem Einspruch den größten Nachdruck zu verleihen, protestiert die Studentenschaft aufs schärfste dagegen, daß der Minister, entgegen seiner Pflicht, die Hochschulen und ihre Mitglieder zu schützen, selbst deutsche Studenten mit völlig haltlosen, schwersten Beleidigungen angreift." (Bleuel/Klinnert, Deutsche Studenten auf dem Weg ins Dritte Reich, S. 75f.). Der Minister revozierte. Ein anderes Zitat eines Studenten, das man in demselben Buch auf Seite 78 findet: "Wir haben die Republik verteidigt, aber statt den Dank des Vaterlandes ernteten wir Schimpf und Schande."

Diese Reaktionen und Äußerungen der Studenten sind verständlich. In der damaligen allgemeinen politischen Situation mit teilweise bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen und verhärteten Fronten griff vor allem die linke Presse die Urteile an. Der Justiz wurde vorgeworfen, einseitig zu sein. Daß hier Fehlurteile gesprochen worden seien, wird auch heute von bestimmten Kreisen unkritisch übernommen. Tatsache ist, daß die Urteile zu Freisprüchen führten, denn auch damals galt der Grundsatz: "in dubio pro reo".

Zweifel können sicherlich nicht ausgeschlossen werden, es ist aber unzulässig, den heutigen Korporationen die Ereignisse von 1920 als Fehler anzulasten.

Ohne letztlich eine Bewertung der Mechterstädter Vorkommnisse abzugeben, muß nochmals festgestellt werden, daß an dem angesprochenen Vorfall weder Landsmannschafter noch Turnerschafter beteiligt waren. Es muß daher beim Gespräch und der Diskussion ausdrücklich betont werden, daß die Korporationen nicht pauschal als "Burschenschaft" oder "Corps" bezeichnet werden dürfen.

Februar 1994

Ekkehard Eisenlohr
CC-Amtsleiter für Nachwuchsarbeit

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