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Barrierefreie Stadt Karlsruhe

Der lange Weg zum behindertengerechten Verkehr

Rollis rollen in Tram Mitte 2000 beschäftigte sich der Karlsruher Gemeinderat mit dem Problem der immer noch nicht ausreichenden Barrierefreiheit für Behinderte in Karlsruhe. Dies mündete in die Projektgruppe "Barrierefreies Karlsruhe", in der Vertreter verschiedener Organisationen und der Stadt zusammen kamen, u.a. auch ich als einer der Vertreter des Conterganverbandes Karlsruhe. Ziel war die Vorbereitung einer Bestandsaufnahme, die Grundlage eines Integrations- und Mobilitätskonzeptes sein soll und die außerdem die Information über die Zugänglichkeit öffentlicher Einrichtungen in möglichst vielen städtischen Publikationen verbessern soll. Ein Zwischenbericht wurde im Oktober 2001 dem Sozialausschuss vorgelegt.

Das Problem ist, dass es in Karlsruhe bisher kaum eine Übersicht über die behindertengerechte Ausstattung gibt und somit auch keine einheitliche Informationsmöglichkeit für Betroffene, aber auch Entscheidungsträger. Nur ein Teil solcher Infos ist in einem speziellen Stadtplan enthalten, der z.B. im Rathaus ausliegt. Infos z.B. über die Erreichbarkeit von Arztpraxen existieren zwar auf Initiative einiger Verbände, aber nicht nach einheitlichen Kriterien und sind somit nur begrenzt aussagekräftig. Oft sind die Infos nur auf einen Teil der Behinderten beschränkt, meist auf Rollstuhlfahrer.

Rollis warten auf Tram Um das Rad nicht neu zu erfinden, schaute sich eine Unterarbeitsgruppe nach Erfahrungen in anderen Städten um mit EDV-gestützen Methoden. Aber vielfach haben die Systeme anderer Städte ähnliche Mängel, vor allem sind sie nicht von Stadt zu Stadt einheitlich. Nur die you-too Software (www.you-too.net), die im Rahmen eines EU-Projektes u.a. in Münster eingesetzt wird, kam als einzige den gesteckten Zielen am nächsten, insbesondere der Teil der Software, mit der die Daten der Gebäude erfasst werden können, überzeugte, während die Präsentation dieser Daten und die Integrierbarkeit in das städtische Internetangebot noch offene Fragen aufwarf.

Über die Frage, was an Daten zu erfassen ist und für welche Gebäude, diskutierte eine Arbeitsgruppe "Gebäude". Wichtig ist, die Erfassung nicht auf binäre Entscheidungen "Rampe vorhanden ja/nein" zu beschränken, sondern die Daten so zu erheben, dass jeder behinderte Mensch selbst nach seinen persönlichen Rahmenbedingungen beurteilen kann, ob ein Gebäude für ihn zugänglich ist, also im Falle der Rampe z.B. die Daten Breite, Neigung, Zwischenpodeste. Zudem soll die Erfassung eine möglichst breite Palette von Behinderungsarten erfassen, nicht nur Gehbehinderte. Die Erfassung läuft gerade an.

Mindestens ebenso vielschichtig war die Problematik in der Gruppe "Öffentlicher Raum und Verkehr", in der ich mitwirkte. Betrachten wir zunächst die Probleme der Rollstuhlfahrer mit der Tram: Die modernen Niederflurbahnen gelten als rollstuhlgerecht und werden schon auf vielen Linien eingesetzt: 1, 3/4 und 6, 2 teilweise und in einigen Jahren nach Umbau der Strecke auch auf der 5. Einfach so rausrollen, ohne um Hilfe bitten zu müssen und ohne auf anfällige Technik angewiesen zu sein, also mobil sein wie jedermann: die ideale Gleichstellung.

Aber das ist nur ein Teil der Geschichte, denn zur Niederflurbahn gehört zwingend ein passender Bahnsteig mit 34 cm Höhe. Mit Kinderwagen ist die Stufe zu den üblichen 15 cm-Bahnsteigen kein Problem, Fahrer eines "normalen" Rollstuhls brauchen jedoch meistens Hilfe. Fahrer von schweren Elektro-Rollstühlen müssen dagegen leider draußen bleiben... Passende Bahnsteige mit Niederflurlinien gibt es bisher nur wenige, nämlich an den Neubauabschnitten der 4 und 6. Eine Erhöhung der Haltestellen in der Durlacher Allee im Zuge des Umbaus scheiterte an den dort noch fahrenden und nicht zu 34 cm kompatiblen Altbaubahnen der Linie 2. Aber es tut sich was. Als erste Altstrecke wird vermutlich noch dieses Jahr die Strecke nach Oberreut ab Weinbrennerplatz umgerüstet. Ein großer Teil der städtischen Haltestellen wird im Laufe der Zeit umgerüstet werden, bis auf einige wenige, wo es technische Probleme gibt, z.B. in Kurven.

Wer meint, man käme wenigstens schon von der Europäischen Schule stufenfrei in die Brauerstraße oder bald nach Oberreut, der hat sich getäuscht, denn diese werden von unterschiedlichen Linien angefahren, man müsste also umsteigen, aber wo? Alle Niederflurlinien halten am Eurpopaplatz, aber dieser hat, wie alle alle Haltestellen in der Fußgängerzone -- auch für Rollis ein wichtiges Ziel --, nur 15 cm hohe Bahnsteige. An den VBK liegt es nicht, die hätten beim Umbau gerne höhere gehabt. Leider gibt es aber Bedenkenträger in der Stadt, die sich Sorgen um Stadtbild und Fußgängersicherheit machen. Deswegen kreist das Thema noch zwischen Ämtern und Ausschüssen, ob und wie man zumindestens Kronen- und Europaplatz umbaut.

Andere Städte sind da weiter. Oben sieht man mit zwei Bildern ein Beispiel aus Freiburg in Theorie und Praxis: die Haltestelle Stadttheater. Sie ist zwar nicht in der eigentlichen Altstadt, aber sie liegt in einem durchaus belebten Fußgängerbreich am Rand der Altstadt auf halbem Weg zum Bahnhof und sie wird von allen Linien bedient. Vielleicht traut man den durch Freiburgs Bächle trainierten Freiburgern den Umgang mit solchen Hindernissen eher zu? Noch weiter ist man, ganz ohne Schützenhilfe durch Bächle, in Strasbourg (Bild unten): Dort wurde beim Neuaufbau des Tramnetzes auch die Haltestellen jede Haltestelle, auch in stark frequentierten Fußgängerbereichen, rollstuhlgerecht angelegt.

hohe Bahnsteige in Strasbourg Das wären die Niederflurlinien, aber es gibt ja noch weitere Bahnen im KVV. Auf den Zweisystemlinien S3, S4, S5 und S9 sind neben älteren Hochflurern auch solche unterwegs, die manchmal auch "Niederflur" genannt werden, die aber mit einer Einstiegshöhe von 55 cm "Mittelflurer" sind. An eine Stadtbahn werden andere Anforderungen an die Stabilität gestellt und sie hat mehr Technik an Bord, daher keine 34 cm. Aber auch mit diesen Bahnen lässt sich ein rollstuhlgerechtes Netz realisieren. Passende Haltestellen gibt es bereits auf den neueren Strecken, so auf dem Odenheimer Ast, östlich von Eppingen und im Brettener Bahnhof. Letzteres nützt wenig, weil dort Aufzüge fehlen... Im Stadtgebiet von Heilbronn mit etwas abweichenden designten Hochbahnsteigen ist aber nach meiner Meinung der Spalt etwas breit ausgefallen. Auch die Bauprojekte im Enz- und Murgtal bekommen 55 cm-Bahnsteige. Wer aber von diesen Strecken mit Rollstuhl nach Karlsruhe kommen will und eine Mittelflurbahn erwischte, hat trotzdem vorerst Pech gehabt. Nicht nur, dass in der City 34er Bahnsteige fehlen, höhere sind dort illusorisch, er muss ja erst noch umsteigen von einer Stadtbahn mit 55 cm in eine Niederflurbahn mit 34 cm, da an Strecken, an denen beide Fahrzeugarten verkehren, also in der Stadt fast überall, sicher nur 34 cm gebaut werden. Aber eine solche Umsteigestelle gibt es derzeit noch nicht.

Ein wahres Trauerspiel sind die Strecken der S1/S11 und S2. Deren Außenäste sind nämlich schon an sehr vielen Stellen mit 34/38 cm hohen Bahnsteigen ausgerüstet (38 cm ist ein Eisenbahnstandardmaß). Es ist auch technisch kein Problem, dort Niederflurer fahren zu lassen. Als Verstärker fahren ja schon einige auf der S2 und auch auf der S1 gab es schon Testfahrten, die Bahnen sind albtalfähig ausgerüstet. Langfristig werden also auch dort Niederflurer fahren. Aber was soll mit den jetzt dort fahrenden Bahnen geschehen? Es sind reine Hochflurer, angeschafft in den 80er Jahren, als Niederflurtechnik noch in weiter Ferne lag. Und es sind eigentlich noch wahre Jungspunde. sind eigentlich noch wahre Jungspunde. Abgeschrieben nach 25 Jahren fahren sie real locker 30-40 Jahre. Womöglich werden zwar die ältesten wegen Kinderkrankheiten schon um 2010 ausgemustert, aber das Gros der Bahnen fährt länger, bis 2020 oder gar 2030. In anderen Städten hat man durchaus schon Bahnen mit Niederflurteilen nachgerüstet. Das sieht aus wie auf dem Titelbild, bloß dass diese Freiburger Bahnen schon fabrikneu so gebaut wurden. Das dürfte auch bei den Karlsruher Bahnen so gehen, waren doch viele Achtachser zunächst Sechsachser und haben ihr Mittelteil erst nachträglich bekommen. Eine ander Möglichkeit wären Hebebühnen, wie man sie in München verwendet. Aber ein Umbau ist teuer. Im Prinzip braucht man nur wenige Bahnen, um zumindestens einen Stundentakt zu gewährleisten, aber dann kann man bei Störungen und Verspätungen nicht mehr freizügig disponieren.

Dennoch sollte man bei Stadt und VBK dringend nachdenken, wie man das Problem früher lösen kann, als es sich durch das natürliche Ableben der Bahnen irgendwann von selbst regeln wird. Immerhin liegen gerade an den Strecken nach Herrenalb und Ittersbach viele Ziele, die gerade für Rollstuhlfahrer und Senioren interessant wären: Kurorte, Ausflugsziele, und nicht zuletzt das Reha-Zentrum in Langensteinbach. Eine weiteres Thema wäre das Busnetz, aber da halten die Fahrzeuge nicht so lange und es tut sich viel schneller was. Kleinigkeiten erschweren darüber hinaus das Mitfahren. Warum ist z.B. der extra Knopf für Behinderte, also auch für die Rollis, so hoch angebracht?

Sind Fahrdienste eine Alternative zum ÖV? Teils, teils. Sie bieten einen Service von Tür zu Tür, was bei Stufen am Ziel seine Vorteile hat. Aber sie kosten, nicht zu knapp. Einen Teil davon übernimmt die Stadt, aber das reicht oft nicht für das Maß an Mobilität, das für einen nicht betroffenen Menschen heutzutage selbstverständlich ist. Und sie sind zeitlich längst nicht so zuverlässig wie die Bahn. Ein komplett rollstuhlgerechter Nahverkehr wäre ein Fortschritt bei Kosten, Planbarkeit und Unabhängigkeit für viele.

Aber nicht nur Rollis wollen in der Bahn durch die Stadt rollen, auch an andere Behinderte sollte gedacht werden. Für Blinde sind die automatisierten Ansagen durch das neue, sich langsam durchsetzende rechnergestützte Betriebsleitsystem incl. Standortbestimmung schon mal ein großer Fortschritt weg von der Ansagenlotterie durch das hinterherhinkende Band. Ebenso positiv ist, dass bei jedem Neu- und Umbau die Haltestellen mittlerweile ertastbare Blindenleitstreifen bekommen, die durch ihren Kontrast auch für andere mit Sehproblemen nützlich sind. Aber ein Problem ist noch ungelöst: Welche Linie kommt denn da gerade? Die Nummern an den Bahnen und die Anzeigetafeln, die gerade aufgestellt werden, geben nur (gut) Sehenden Auskunft. Ein Klingeln der Bahnen bei Abfahrt ist anderswo üblich, hier ist es Ruhestörung... Türöffner zu finden, ist oft auch ein Problem für Sehgeschädigte.

Genau andersrum liegt das Problem bei Gehörlosen. Hier verbreiten sich zum Glück verstärkt die Anzeigen in den Bahnen. Dass bei vielen die Haltestellenanzeige alternierend der Anzeige "Bahn hält" geopfert wird, ist aber lästig. Damit ist das Spektrum der Behinderungsarten noch längst nicht erschöpft. Wie betätigt man bspw. ohne Arme die Türöfnner? Oder wie findet ein geistig Behinderter seine Linie? Es allen recht zu machen, ist ein ziemlich schwieriges Geschäft, dass kaum vom "normalen" Planer am Schreibtisch zu machen ist. Aber es lohnt sich, es zumindestens zu versuchen, denn fast alles, was für einen Behinderten existentiell ist, ist für "Normale" zumindestens nützlich. Zusammen passende Bahnen und Bahnsteige machen den Fahrgastwechsel bequemer und auch schneller, so dass es sich rechnet. Mit Gepäck, Kinderwagen oder im Seniorenalter ist man froh um jede Stufe weniger. Anzeigen und Ansagen kann jeder nutzen.

Auch wenn der Schwerpunkt in diesem Artikel auf den Bahnen liegt: Die Probleme gehen im Straßenraum gerade weiter. Einige bemängeln die vielen Behindertenparkplätze, nehmen sie doch den "Normalen" Parkraum weg. Viele Gehbehinderte können jedoch nur kurze Wege laufen. Ist kein dichtes und verfügbares Parkplatznetz da, ist für diesen Tag der Besuch des Arztes o.ä. womöglich ausgefallen... Die Bedienung von Kassenautomaten in Parkhäusern vom Rollstuhl aus oder die Bedienung der Schranken ohne Arme ist auch oft ein Problem.

Bei der Gestaltung von Straßenräumen ist es modern, alles in einer Ebene auszugestalten. Das kommt Radlern und Rollis gerade recht, aber was ist mit Blinden? Die stehen dann im Zweifel mitten auf der Fahrbahn... Entweder, es bleiben noch kleine Stufen da, 2-3 cm sind der Kompromiss ziwschen Blinden und Rollstuhlfahrern, oder die Beläge wechseln deutlich, wie z.B. im Zirkel, oder, noch besser, es werden die taktil ertastbaren Rillensteine verbaut, die man schon an neueren Haltestellen sieht. Wann ist die Ampel grün? Wenn sie laut piept wie am Ettlinger Tor, aber das gibt Beschwerden der Anwohner. Moderner sind Mastauffinder, die dezent klacken und den Weg zu einem blauen Kasten weisen, der bei Grün vibriert. Manchmal denkt man da aber, wohl aus Kostengründen, nicht weit genug. So gibt es am Karl-Wilhelm-Platz eine Ampelfurt zur Haltestelle aus Richtung Uni, aber die zweite Etappe weiter in die zentrale Oststadt fehlt.

hohe Bahnsteige in Strasbourg Treppen sind für die meisten ein Gestaltungselement, für Rollis sind es Umwege und für Sehgeschädigte Stolperfallen. Sehgeschädigte und Blinde brauchen auf großen Plätzen kontrastreiche und taktile Orientierungshilfen. Der Bahnhofsvorplatz ist da etwas zu dezent. Nicht jede Behinderung sieht man sofort und mit jeder Konsequenz: Ein dichtes und stets verfügbares Netz von Toiletten ist daher auch ein wichtiger Teilaspekt von sehr vielen einer behindetengerechten Stadt. Aber ich fürchte, es ist noch ein langer Weg dorthin. Wenigstens will man ihn nun intensiver und besser koordiniert beschreiten als bisher.
Heiko Jacobs

(Bild ganz unten: Köln)


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